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Taktiktheorie: Bayerns flache Flügelstürmer

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Beim Spiel in Dortmund fanden sich Bayerns Flügelstürmer oft in flachen Ballbesitzpositionen, etwa Mané zwischen Süle und Brandt. Welche Bedeutung hat ein solches Phänomen? Worin liegen mögliche Vorteile bzw. von Unterladung der Tiefe im Allgemeinen? Wieso funktionierte das Verhalten in jener konkreten Partie letztlich aber nicht so gut?

Beim Topspiel in Dortmund am vergangenen Wochenende entwickelte Julian Nagelsmanns FC Bayern im eigenen Ballbesitz auf den Flügeln eine besondere Struktur. Dies fing bereits mit den Außenverteidigern an: Pavard und Davies standen etwa halbraumbreit und vor allem Letzerer sehr flach, quasi gegenüber von Brandt oder gar Bellingham. Am ehesten schob noch Pavard frühzeitig etwas früher zur Seite nach vorne auf oder rückte höher, an der Grenze des Zwischenlinienraums, ein, also mit wirklichem Kontakt zu Dortmunds Mittelfeldlinie im engen 4-5-1.

Davor positionierten sich die Münchener Außenstürmer flacher und gaben nicht von Beginn an zwingend Tiefe. Vor allem Mané bewegte sich oft auf halber Höhe zwischen Süle und Brandt. Im Zwischenlinienraum sorgten Goretzka und Musiala für Präsenz hinter dem gegnerischen Mittelfeld. Horizontal hatten sie ballnah oft engen Kontakt zu den flachen Außenspielern.

Was kann man zu diesen flachen Positionierungen der Flügelstürmer theoretisch sagen? Im Grunde genommen hat man damit eine Überladung der hinteren Zonen und eine Unterladung der Tiefe bzw. speziell der gegnerischen Abwehrkette. Die Außenstürmer halten sich nicht frühzeitig in aufgerückten Positionen, um den Gegner hinten zu binden. Normalerweise ist eine solche Herangehensweise an die Idee gekoppelt, die letzte gegnerische Linie zurückzudrängen, dadurch die Abstände zu vergrößern und dementsprechend auch die Räume zwischen den Reihen.

Demgegenüber hat man bei flachen Außenstürmern ohne direkten Tiefengeber potentiell den Effekt, dass die gegnerischen Außenverteidiger bzw. genauer dass eine Positionierung dieser Akteure in der Kette „aufgabenlos/funktionslos“ werden/wird. Vereinfacht gesagt: Die Defensivmannschaft setzt vier Akteure ein, um einen zentralen Stürmer zu verteidigen. Das ist ein ähnlicher Punkt wie früher bei der Diskussion um Messi und die Falsche Neun, dass die Abwehrspieler zu Beginn von Angriffen nichts Konkretes „zu tun“ hatten – nur hier eben außen statt innen.

Mögliche Reaktionen des Außenverteidigers

Man nehme diese beispielhafte und hypothetische Szene mit einem Außenstürmer in einer flachen Zwischenposition (hier gegen 4-2-3-1 mit mehr Mannorientierungen):

Die Grundsituation

Wenn der Außenverteidiger dagegen einfach hinten in der letzten Linie bliebe, hieße das für die verteidigende Mannschaft in einem dortigen 4vs1 effektiv eine Verschwendung von Personal. Das angreifende Team hat also am Ball mehr oder bessere Möglichkeiten (mit den „verbleibenden“ Spielern aus dem 11vs11), dort Überzahl aufzubauen.

Nimmt der Außenverteidiger frühzeitig eine erhöhte Position ein, verliert sein Team einen Akteur in der Tiefensicherung. Seine Nebenleute müssten eigentlich dahinter durchschieben (blau) und sind in dieser Frage zu Entscheidungen gezwungen, so dass weniger Spielräume und/oder Aufmerksamkeit für etwaiges Herausrücken nach vorne ins Zentrum die Folge sein könnten. Potentiell deutete sich beim Auftritt der Münchener das Grundprinzip einige Male an: Man zwingt den ballnächsten Verteidiger am Flügel erst noch in eine Bewegung nach vorne, bevor man direkt im Anschluss die Beschleunigung sucht und in die lokale Staffelung hineinspielt. Der entscheidende Punkt im Allgemeinen lautet jeweils: Durch die flachere Position verändert man auch die Staffelung und die Winkel für den Flügelstürmer, der gegenüber der höheren Linie deutlich effektiver eine diagonale Spielfortsetzung durchführen kann. Dadurch werden dann jene Angriffsversuche, wie sie bei Bayern im Ansatz zur Geltung kamen, auf diese Art überhaupt erst möglich.

Ansonsten könnte der Außenverteidiger auf Sprung stehen und mit einem Anspiel auf den Flügelstürmer dynamisch hochgehen. Dann kommt es stark auf die Ausführung und das Timing an: Wie gut schätzt der Spieler die Distanzen und seine Chancen, zu welchem Zeitpunkt er in Ballnähe eintreffen kann, ein? Der Akteur des Ballbesitzteams kann dagegen versuchen, ihn durch geschicktes Spielen mit der Ballkontakteanzahl und dem Abstand untereinander zu locken. Für die Defensive ist in diesem Fall das Risiko im Falle des Scheiterns besonders groß: Je später man beim Herausrücken „zu spät“ kommt, desto weniger Zeit bleibt, um das Ganze positionell wieder auszubügeln und desto deutlicher ist der entstehende Dynamikvorteil für die angreifende Mannschaft.

Der entscheidende Punkt ist die harmonischere Möglichkeit zur diagonalen Spielfortsetzung für den Flügelstürmer, da er flach bessere Winkel hat (rot). Je nach eigener Spielweise kann man dann verschiedene Bewegungsmuster haben (einige Beispiele hier dargestellt), um tatsächlich in Überzahlen/Überladungen zu kommen bzw. den Angriff durchzuspielen (das Anspruchsvollste in diesem Fall sind die positionellen Bewegungen der Außenverteidiger für die offensive Einbindung).

Die Eigenart des Verteidigens als Kette

Hier deutet sich bereits an, dass in das prinzipielle Dilemma aus der Sicht des verteidigenden Teams auch die typische Organisation von Verteidigen in Ketten hineinspielt. Vereinfacht gesagt bringen es diese Ketten des heutigen Fußballs mit sich, dass sie möglichst auch als Kette zusammenbleiben wollen. Gemeinhin befinden sie sich in ihrer Ausgangsposition in einer flachen Anordnung, die somit die Breitenstaffelung privilegiert und die Tiefenstaffelung im Zusammenspiel der einzelnen vor- bzw. hintereinander positionierten Ketten organisiert.

Es liegt erst einmal nicht im Naturell der Linien, frühzeitig die schnurgerade Ordnung als Kette aufzulösen. Das gilt für die Viererabwehr und ebenso für die Mittelfeldreihe dafür. Auch diese muss auf den flachen Flügelstürmer reagieren. Sie kann nachschieben und ihm die Räume verknappen. Wie gut das im Ergebnis funktioniert, ist wiederum eine Frage des Timings, aber die Karte startet zunächst aus ihrer flachen Anordnung. Bei einem 4-5-1 ist das besonders ausgeprägt und in dieser Hinsicht war es von Nagelsmanns Position aus also ein interessanter und vielversprechender Zug, gerade gegen eine solche Formation die Flügelstürmer flacher positioniert zu haben.

Genauso kann dieses Mittel interessant sein gegen andere Gegner als den BVB aus dieser Partie, die stattdessen unkompakt sind und gleichzeitig passiv agieren. In solchen Fällen trifft man schnell mal auf das Problem, dass auch Offensivspieler passiv werden, dass sie so viel Raum zum Aufdrehen und Dribbeln haben, dass sie diesen nicht mehr sauber wahrnehmen und unnötig früh den Raum wechseln, während sie die Verlagerung dort, wo sie hilfreich wäre, zu verpassen neigen.

In der konkreten obigen Szene hat der Flügelstürmer in der Zwischenhöhe zwischen den Ketten erst einmal stets Raum, um mit Ball zwischen sie hineinzulaufen, also zu dribbeln. Zwingt die flache Position des Flügelstürmers einen gegnerischen Außenverteidiger zum Herausrücken, hat man dagegen ein markantes Momentum, durch das Akteure oftmals mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zur beschleunigenden Aktion nach vorne veranlasst werden – da sich ein Auftaktdribbling so sehr aufdrängt. Somit können jene flachen Positionen ein Element sein, um besser in 1vs1-Situationen hineinzukommen.

Hier nochmals zur graphischen Verdeutlichung bzgl. des Dribblingraums

Aufbrechen der Kettenverteidigung?

Wenn man ausgehend von den flachen Flügelspielern das Thema zum Unterladen der Tiefe im Allgemeinen weiterspinnt, wird zweierlei deutlich. Erstens lässt sich aus Sicht des verteidigenden Teams festhalten: Eigentlich wäre gegen starke Unterladung der Tiefe der Ausweg aus dem oben für den Außenverteidiger beschriebenen Dilemma , aus der Kettenorganisation der Tiefenverteidigung auszubrechen. Der Außenverteidiger müsste also anders verteidigen, als man es als Außenverteidiger tut. Das erfordert eine Umstellung.

Eigentlich sind Ketten als Element des Defensivspiels eine flexible Möglichkeit und geben gewisse Werkzeuge für Tiefensicherung an die Hand. Wer kennt nicht das gute alte Abwehrdreieck, das, beispielsweise in einer Viererkette praktiziert, nichts anderes ist als eine Umformung der Kette selbst: Aus einer 4-0- wird eine 3-1-Staffelung, ein Spieler geht vor und im Endeffekt gewinnt das Gebilde an Tiefe auf Kosten von Breite.

Innerhalb des Spiels passiert das dauernd, aber nicht dauerhaft; im Normalfall geht man nicht dazu über, solche Strukturen über längere Zeiträume mal zu halten, weil man es auch gar nicht machen muss. Ähnlich stellt sich die Situation mit derjenigen Kettenumformung dar, die oftmals als Sichel bezeichnet wird: Der Außenverteidiger rückt heraus und die Mitspieler schließen dahinter bogenförmig an. Selten gibt es solche Umformungen anderswo als unmittelbar am Flügel. In diesem Fall gegen die flachen Außenstürmer bieten sie auch eine naheliegende Reaktion.

Aber was wäre, wenn der Gegner beim Unterladen der Tiefe die entsprechende Überladung anderswo hat als durch flache Breitengeber? Eine diagonale 3-1-Staffelung mit einem erhöhten Außenverteidiger Richtung Sechserraum versetzt hört sich erst einmal interessant an, aber ist gleichzeitig eher unintuitiv. Potentiell besteht darin eine Möglichkeit, die Kettenorganisation weiter aufzubrechen bzw. anzupassen und umzuformen. Es würde aber individual- und gruppentaktisch Gewöhnung erfordern, weil man in den letzten Linie ggf. eine dauerhaft asymmetrische Anordnung hätte (wo man „normalerweise“ symmetrisch verteidigt und im ballorientierten Verschieben nur temporär asymmetrisch wird).

Allgemein würde es fast schon eine andere Denkweise von Defensivspiel bedeuten, wenn man diese Veränderung auf der Ebene der gesamten Mannschaft forcieren würde. (Das ist natürlich ein eigenes, riesiges, schwieriges bis spekulatives Thema und sicherlich nicht uninteressant zu durchdenken, aber auch sehr unangenehm, weil man sich dann selbst immer wieder ertappen wird, dass man in die gewohnten Defensivlogiken, in die man ganz automatisch verfangen ist, zurückfällt und sich unterbewusst durch Vorprägung erst einmal in den entsprechenden Denkstrukturen bewegt.)

Bestimmte Räume fokussieren vs. Räume gleichmäßig besetzen

Zweitens ergibt sich aus der Sicht des angreifenden Teams folgender Schluss: Vom Grundsatz widerspricht diese Art des stark unterladenden Offensivspiels dem Prinzip des klassischen Positionsspiels, dass „alle“ Räume des Feldes besetzt (oder zugänglich) sein müssten (bzw. insoweit nicht, dass es mitunter nur um „alle relevanten“ Räume ging). Beim Unterladen mit flachen Flügelstürmern hat man nur einen Angreifer an der letzten Linie, erst einmal zentral und ggf. später auf nur einer Seite, sofern er ausweicht. Man bindet mit den Außen eben nicht breit und hoch. Vielmehr bedeuten solche Offensivpositionierungen, dass man verstärkt ballnahe Zonen und dort enge Situationen bespielt und durchspielen muss, um zu Angriffen zu kommen.

Das ist nun auch nicht ohne Schwierigkeiten und erfordert Übung, aber nicht so sehr wie bei anderen oben diskutierten Themen. Das Problem liegt oftmals darin, dass Enge automatisch mit Druck assoziiert wird – in dieser einseitigen Kausalität aber ein großer Trugschluss im Fußball. Enge kann Druck begünstigen, aber es hängt von der Konstellation ab, ob das tatsächlich zustande kommt oder nur so wirkt. Wenn man klare, kontrollierte Überzahlen am Ball schafft, hat der Gegner irgendwann nicht mehr viele Möglichkeiten, in der Enge Druck aufzubauen, und die Enge wird handhabbar und nutzbar (sofern man zudem eine ausreichende Orientierung hat).

Eine solche Spielweise attackiert die Tatsache bzw. profitiert davon, dass die (ballorientierte) Verteidigung dazu neigt, gewisse Räume präventiv mit abzudecken oder abzusichern, in die sich das Spiel theoretisch hinein entwickeln könnte – weil sie quasi nicht ganz sicher wissen kann, welche der Gegner wählen wird. (Banaler Umkehrschluss: Daher hat derjenige, der das geschickt antizipiert, also logischerweise einen Vorteil.) Sie stellt effektiv irgendwo Spieler ab, die in mehr oder weniger starkem Grad ballferne Räume zumindest beachten und entsprechend ballnah nur bedingt „eingreifen“.

Die Offensive hat das nicht bzw. weniger zwingend nötig. Wenn man selber weiß, dass man im Übergangsspiel in direkter Ballnähe durchspielen will, dann kann man auf bestimmte Besetzungen verzichten. Dazu gehört potentiell auch die Tiefe; unabdingbar wird diese dann erst in Tornähe. (Deswegen braucht man beispielsweise nicht immer sofort eine tiefe Gegenbewegung, wenn ein Mittelstürmer ins Mittelfeld zurückfällt – nur je nach Situation und/oder erst später bzw. verzögert. Viele gegenläufige Bewegungen werden mit suboptimalem Timing angewandt oder ohne Beachtung der Höhen, auf denen sich die beteiligten Spieler befinden.) Genauso profitiert das Unterladen hier erneut von der Eigenart der Kettenorganisation – logischerweise, denn schließlich ist diese deshalb so, wie sie ist, weil man dadurch jene präventiv absichernde Raumabdeckung erzielt.

Kompaktes Angreifen und Durchspielen

Die Extremform dieses unterladenden Prinzips hieße letztlich: kompaktes Angreifen. Offensivspiel würde sich in diesem Fall komplett ballnah gestalten und vollziehen, ohne fest und dauerhaft vorgegebene(n) Tiefen- und Breitengeber. Damit jene Spielweise funktioniert, müssten natürlich mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Es wird erst möglich, wenn man nicht nur die entsprechenden Staffelungen herstellt, sondern zu deren Nutzung und zum Ausspielen genug Auftaktaktionen, genug 2vs1, genug strategische und lockende Dribblingnutzung hat und die Spieler so weit trainiert sind, dass sie mit Abständen und Winkeln gut genug umgehen könnten. (Das wäre dann der Zustand, in welchem man ggf. tatsächlich die in den letzten zwei Jahrzehnten schon ein Mal paar geäußerte Utopie, irgendwann ohne Formationen spielen zu können, praktisch und organisiert realisieren könnte.)

Dass die Reduzierung von frühzeitiger Tiefe oder der Verzicht auf Tiefe über die Struktur (zugunsten von Tiefe primär aus der Dynamik) in einer gewissen Spannung zum klassischen Positionsspiel steht, bedeutet natürlich nicht, dann auf Elemente von Positionsspiel zu verzichten, und erst recht nicht, auf Ballzirkulation zu verzichten. Vor allem Letztere sollte man als Ergänzung nicht über Bord werfen, wenn man eine Spielweise hat, in der sie nicht (die zentrale) Schubkraft dieser Spielweise darstellt.

Das gilt sogar für den Spezialfall eines kompakten Angreifens ohne fixe Tiefe und Breite: Wenn man in einer entsprechend kompakten Offensivsituation die Entscheidung trifft, nicht durchzuspielen und abzubrechen, muss man eine neue und bessere Szenerie herstellen. In dem Fall ist die Zirkulation weiterhin ein mögliches Hilfsmittel, um das besonders erfolgreich oder besonders schnell zu schaffen. Zumindest im hinteren Teil der flachen Präsenz wird man aus Gründen der Restverteidigung normalerweise eine etwas geöffnetere Raumaufteilung haben – und in dieser lässt sich flach verlagern, halbraumbreit verlagern oder über verlagernde Rückpässe Zeit für die nächste Neustaffelung gewinnen.

(Selbst wenn man so verrückt sein sollte, nicht einmal in der Restverteidigung mit Breite zu agieren, hat man nach hinten zum eigenen Tor eigentlich immer Raum, um dynamisch bei Notwendigkeit zum Abbrechen aus extremer Enge wieder „gefahrenlos“ etwas aufzufächern, da Verteidigen des Gegners eben stets zu dessen eigenen Tor erfolgt. Das unangenehme Gegenmittel ergäbe sich dann nur, wenn die Mannschaft gegen den Ball ein oder zwei Spieler aus der Formation ausklinken und bewusst „hinter“ dem aufbauenden Team zocken und auf Rückwärtspressing gegen Rückpässe lauern lassen würde. Konventionelle Defensivformationen würden vielleicht am ehesten in ein 3-4-1 mit zwei Zockern wechseln, aber das nur am Rande.)

Gerade jene Momente einer flachen Zirkulation gehören zu denjenigen Momenten, in denen ergänzende Vorwärtsbewegungen aus den hinteren Linien – stets ein sehr wichtiges Element bei kompaktem Angreifen – besonders zum Thema werden. Dazu zählen vor allem auch Dribblings, nicht nur Läufe ohne Ball. Wenn man viele Spieler in flachen Positionen hält bzw. aus der Offensive entgegenkommen lässt, braucht man aufrückende Aktionen etwa der Innenverteidiger oder auch der Sechser (aber kleinräumig!), um nach Zonenwechseln geöffnete Räume anzuvisieren.

Das Beispiel Bayern in Dortmund

Mit dem Thema Zirkulation nähert man sich dann schon der Frage und einem der Gründe, wieso im konkreten Fall der Bayern in Dortmund die flachen Positionierungen der Flügelstürmer (als eine Form von Unterladung der Tiefe) nur bedingt Früchte trugen. Ihre potentiell lockende Wirkung, um Dortmunder Spieler kurz dynamisch herauszuziehen, zu zusätzlichen Bewegungen zu zwingen und/oder ihre Rückwege zu verlängern, bevor man bevorzugt kleinräumig (von außen) zwischen die Linien fortsetzt, trat kaum ein.

Verschiedene Gründe dürften dafür zusammengekommen sein. Wie bereits in der Spielanalyse zur Partie geschildert: Zum einen waren die genauen Positionierungen der Außenspieler im Detail zu oft unsauber, speziell links: Davies hatte in seiner Rolle Probleme mit der Orientierung, Mané fand mehrfach keine gute Höhe. Gleichzeitig wurde er mehrmals (häufiger als Sané) in ungünstigen Positionen angespielt, wo Brandt dann gut von oben doppeln konnte und der BVB ausreichend kurze Wege hatte, um die Zwischenposition zuzuschieben und ggf. sogar in Überzahl in die Balleroberung zu kommen.

In dem Fall war es dann eine solche Situation, wo man aus einem potentiellen und erst passiven Binden von zwei Defensiv- durch einen Offensivspieler beim Versuch des Lockens oder des dynamischen Über-/Weiterspielens gegen diese Akteure über eine unpassende Entscheidung in eine aktive 1gegen2-Unterzahl fällt und der Spieß sich umdreht. Diese Szenen nahmen Bayern zwischendurch Spielanteile, Rhythmus und Ruhe weg.

Zum anderen entwickelte sich bei den Münchenern nur wenig Ballzirkulation, die die flachen und lockenden Positionierungen hätte ergänzen können. Dafür wiederum gab es wohl ebenfalls mehrere Gründe: Vielleicht trug schon eine vorsichtige strategische Einstellung unterbewusst dazu bei. Hinzu kam die Konstellation, dass Sabitzer alleine den Sechserraum besetzen musste (auch selten ergänzt von einem Außenverteidiger, da diese dann eher „dahinter“ standen), dort aber wenig Präsenz hatte und Bayern von den Außenzonen so kaum in Verlagerungssituationen über den Sechser kam. Gleichzeitig hielten sich zumindest in der ersten Halbzeit die Innenverteidiger sehr passiv in ihren Positionen.

Die Gesamtkonstellation machte es schwierig, um die passenden Momente für den Vorwärtsball zum Anspielen auf den Zwischenlinienraum zu finden. Obendrein entwickelte der BVB bei der Ausführung seines 4-5-1 eine gute Kompaktheit und spielte dieses im Mittelfeldpressing passiv. Der Ansatz vermittelte beinahe den Eindruck, durch Passivität Unruhe beim Gegner hervorzurufen – was letztlich im Grunde auch eintrat.

Im Endeffekt sah das Spiel bei Münchener Ballbesitz daher häufig so aus: Bayern hielt irgendwo den Ball (tatsächlich meistens im wahrsten Sinne des Wortes, mehr haltend, als zirkulierend), Dortmund stand kompakt verschoben und es ergab sich zunehmend Ungeduld bei den Gästen. Die Qualität in den Entscheidungen ließ nach und die Spieler versuchten häufiger, den Ball zwischen die Linien zu erzwingen. Alternativ griffen sie vermehrt zu frühzeitigen längeren Tiefenpässen bzw. suchten diese zunehmend in wahllosen, beliebigen Situationen.

Mit der Zeit bildete sich ein ungünstiger Strudel: Jede überfrühte Entscheidung für einen Vorwärtspass raubte Kontrolle und Spielanteile, was wiederum weniger Möglichkeiten gab, den Ball mehr laufen zu lassen und so die Ausgangsbedingungen zu vereinfachen. Beides verstärkte sich gegenseitig und gleichzeitig noch mehr, sobald misslungene Szenen in der Einbindung der anspruchsvollen flachen Bewegungen der Außenstürmer hinzukamen. Im ersten Teil der zweiten Halbzeit funktionierte das Bayern-Spiel wesentlich besser, vor allem wegen höherer Aktivität bei der Einbindung des Aufbausechsers und der Innenverteidiger, wie in der Spielanalyse ausgeführt. Zu jenem Zeitpunkt war das Phänomen der flachen Außenstürmer allerdings auch schon nicht mehr so ausgeprägt wie noch in Halbzeit eins.


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